Das Leben des David Gale – Mise-en-scene

Mise-en-scene

Um die künstlerischen Details des Films zu beleuchten, haben wir drei Szenen aus dem Film gewählt und untersuchen diese nach folgenden Gesichtspunkten:

  • Setting/Location
  • Farbe und Licht
  • Musik und Ton
  • Staging (Einstellungsgrößen, Acting, Komposition)
  • Editing (Schnitttechnik)

Außerdem soll hier besonderer Wert auf die Einordnung der Szenen in die Biographie von David Gale gelegt werden, um den starken Biographisierungsprozess, den er im Film durchlebt, zu belegen.

 

1.Szene – Gale hält eine Philosophievorlesung an der Universität zu Austin

Beschreibung der Szene:

Die Szene zeigt den Professor und Dekan David Gale in einer seiner Philosophie-Vorlesungen. Kompetent aber locker und mit charmantem Witz erörtert er die Frage ob Träume und Wünsche für uns stets unerreichbar sein sollten und zitiert dazu die Lehren Lacans sowie Pascals. Er scheint bei den Studenten gutes Ansehen zu genießen und wird von ihnen als moderner Professor und wortgewandter Redner sehr geschätzt. Plötzlich platzt die Studentin Berlin , wie gewöhnlich, zu spät in die Vorlesung. Sie nimmt Platz und Gale hält seine Vorlesung zu Ende. Mit der „Pausenglocke“ endet diese Szene.

Setting/Location:

Die Szene spielt in einem vollen Hörsaal mit nach hinten ansteigend angeordneten Sitzreihen und einer großen grünen Schiefertafel hinter dem Rednerpult. Gale hat allerlei Schemata, Zitate und Schlagwörter angeschrieben. Das Setting lässt vermuten, dass die Szene nicht im Studio sondern in einem realen Hörsaal gedreht worden ist. Die Location dient hier lediglich dazu, Universitätsatmosphäre einzufangen und so einen biographisch wichtigen Abschnitt in Gales Leben festzuhalten und ihn als charmanten, kompetenten und beliebten Professor zu inszenieren, der er einst war.

Farbe und Licht:

Der Hörsaal wird nur vom Tageslicht ausreichend erhellt. Farblich dominieren die grauen Hörsaalwände und Treppen, die grüne Tafel und das braune Pult. Gale selbst ist farblich einfach und wenig elegant gekleidet. Ein blass-dunkelblaues Hemd mit weinroter Krawatte sowie eine hellgraue Stoffhose passen gut zum intellektuellen Image eines Philosophieprofessors. Dieses Outfit harmoniert perfekt mit den Farben des Hörsaals und des ganzen Settings.

Musik und Ton:

Zum Ton ist in dieser Szene wenig Interessantes zu sagen. Gale hält seine Vorlesung mit lauter aber lockerer Stimme, ohne Mikrofonunterstützung. Das macht seine Vorlesung authentisch und ihn als Professor greifbarer. Seine Vorlesung wird immer wieder unterbrochen vom lauten Lachen und Jubel der Studenten.
Hintergrundmusik ist in diesem Abschnitt nicht zu finden.

Staging:

In Punkto Acting sind vor allem Gale und die Studentin Berlin, die zu spät in die Vorlesung platzt, wichtig.
Gale agiert locker während seines Vortrages. Er steht nicht starr hinterm Pult, sondern schlendert gelassen durch den Saal und erörtert dabei die verschiedenen Theorien. Durch Gestiken versucht er seinen Vortrag verständlich zu machen. Interessant ist Gales Reaktion in dem Moment, da Berlin den Saal betritt. Er hält kurz inne, stützt sich auf dem Pult ab und sieht sie genervt an. Aus seinem Blick kann man auch sehen, dass sie ihm keine unbekannte Studentin zu sein scheint.
Der Hörsaal wird anfangs in der Totalen gezeigt, um deutlich zu machen, wie groß das Setting ist und wie gut besucht der Hörsaal ist. Zum Ende von Gales Vortrag wird er dann allerdings fast ausschließlich in Großaufnahme gezeigt, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, dass seine Ausführungen in diesem Moment vielleicht noch von Bedeutung sein könnten. Außerdem kann man in der Großaufnahme an Gales Mimik und Gestik erkennen, dass sich seine eigene Lebenseinstellung mit der Philosophie, die er gerade erörtert, deckt.
Berlin kommt in dieser Szene erstmals vor. Dass sie für Gale und den Fortgang der Geschichte eine wichtige Bedeutung hat, wird schnell klar, da sie immer wieder in Großaufnahmen während Gales Vortrag eingeblendet wird. Auch eine gewisse Zuneigung oder zumindest Bewunderung für Gale sieht man ihr deutlich an ihrer Mimik an. Sie hat ihren Blick stets auf Gale gerichtet und blickt ihn bewundernd an. Nach dem die Glocke ertönt ist, wird Berlin nochmals eingeblendet. Sie blickt immer noch zu Gale und scheint etwas vor zu haben.
Außerdem wird Gales faszinierende Wirkung auf seine Studentinnen auch durch einige Großaufnahmen von aufmerksam zuhörenden Studentinnen inszeniert.

Editing:

An einer Stelle wurde interessant geschnitten. Während Gales Referat platzt Berlin plötzlich in den Saal und unterbricht seinen Vortrag. Um sie gleich als wichtige Person zu inszenieren, blendet der Schnitt sofort hart auf Berlin, die gerade am Eingang des Saales steht. Dann folgt sofort wieder die Rückblende auf Gale um deutlich zu zeigen, wie entnervt er Berlins kurzes „‚tschuldigung“ aufnimmt.

Bedeutung und Einordung der Szene:

Diese Szene bildet den Anfangspunkt, den Gale für seine Erzählung im Interview gewählt hat, um Bitsey von seinem früheren Leben zu erzählen. Es ist auch die einzige Szene, die Gale als erfolgreichen Professor zeigt und damit die Zeit seines Lebens vor seinem sozialen Absturz dokumentiert. So ist sie zum Einen sehr wichtig um dem Zuschauer deutlich zu machen, wie beliebt, erfolgreich und auch mächtig David Gale einst war und wie dramatisch der weitere Verlauf seines Lebens im Gegenzug dazu ist. Zum anderen wird in dieser Szene auch seine Beziehung zur Studentin Berlin erstmals beschrieben, wobei Gales starke Persönlichkeit hier noch inszeniert wird, indem er Berlin gekonnt abblitzen lässt.
Neben diesen offensichtlichen Aufgaben der Szene kommt man bei genauerem Hinsehen außerdem zu einer anderen Erkenntnis.
Das Thema, welches Gale gerade referiert, beschäftigt sich mit der Frage ob es einen Menschen wirklich glücklich macht, wenn er nach seinen Begierden und Bedürfnissen lebt und so seine Wünsche zu erfüllen sucht. Gale zitiert dazu bekannte Philosophen und kommt zu folgender Aussage: „Wahrhaft Mensch zu sein bedeutet, sich zu bemühen, ein Leben zu führen, dass sich nach Ideen und Idealen richtet und nicht sein Leben nach dem zu bemessen, das man erreicht hat in Bezug auf seine Begierden. Sondern nach den kurzen Momenten der Integrität, des Mitgefühls, der Vernunft, ja sogar der Selbstaufopferung, weil wir letztlich nur die Möglichkeit haben, die Bedeutung unseres eigenen Lebens nach unserer Wertschätzung des Lebens anderer zu bemessen.“ An dieser These kann man den Biographisierungsprozess den Gale bis zum Todestrakt hin durchlebt hat definieren. Der beliebte, eloquente Professor David Gale war einst ein Mann voller Leidenschaft und Begierden. So kann er dem Wunsch nach weiblicher Nähe angesichts der fehlenden Zuwendung durch seine Frau nicht widerstehen als Berlin sich ihm abermals anbietet. Seine Leidenschaftlichkeit und sein durchaus gesundes Ego zeichnen sich ebenso deutlich in seiner TV-Debatte mit dem Gouverneur ab, da er sich nicht an rationale Fakten hält und Leidenschaft und Wut schließlich seine Argumentation lenken. Doch diese gefühlvolle, von Wünschen und starkem Willen geprägte, Lebensweise führt ihn von einer Niederlage zur nächsten und er muss herbe Schicksalsschläge einstecken. So kann man am Ende des letzten Interviews den Biographisierungsprozess messen den Gale, von dem Moment an da er seine Professur verliert bis zu dem Tag an dem er sich entschließt sein Leben zu opfern, durchlebt hat. Locker sagt er zu Bitsey: „Aber es kommt ein Punkt in jedem Leben, ein Moment, an dem ihr Verstand länger besteht als ihre Sehnsüchte, als ihre Obsessionen, wenn ihre Gewohnheiten ihre Träume überdauern […]“. Daran zeigt sich, dass Gale bei der Verarbeitung all seiner Verluste soweit gekommen ist, dass er nun das Leben aus der Perspektive der von ihm referierten Philosophen sieht und den Wert seines Lebens mit anderem Maß misst. So sieht man in dieser Szene den einstigen David Gale und er referiert über ein Thema welches er selbst noch durch harte, intensive Selbstreflexion im Laufe seines Lebens tatsächlich begreifen wird.
2.Szene – Gale genießt noch einmal die Ruhe und Geborgenheit seines alten Hauses

Beschreibung der Szene:

In dieser Szene liegt David Gale zunächst mit Cloud Dog unter seinem Kopf im grünen Vorgarten seines einstigen Hauses und schaut in den Himmel. Dann steht er auf, um ein wenig zu schaukeln. Nach kurzer Zeit jedoch öffnet sich die Haustür und eine Frau fragt ihn verwirrt, ob sie ihm helfen könne. Darauf hin verlässt Gale die Schaukel und entfernt sich vom Haus.

Setting/Location:

Das satte Grün des Rasens und das makellos weiße Haus verleihen der Szenerie eine äußerst harmonische Ruhe. Der Vorgarten ist gepflegt, aber nicht übermäßig kunstvoll angelegt. In ihm wächst ein riesiger und vermutlich uralter Baum, der dem gesamten Haus und großen Teilen des Rasens Schatten spendet. An einigen Stellen lässt er ein paar Sonnenstrahlen hindurch. An einem Ast hängt eine Schaukel.
Gale ist an diesem Ort entspannt und nimmt die Ruhe noch einmal in vollem Bewusstsein wahr.

Farbe und Licht:

Durch die natürliche Sonneneinstrahlung wird das Setting in warmes und behagliches Licht getaucht und erhält so seine entspannte Atmosphäre. Das reine weiße Haus gehörte einst David und seiner Frau und symbolisiert das Glück der Gales aus vergangenen Tagen, dass einst so makellos rein war, wie dieses Haus es immer noch ist. Der alte Baum und die Schaukel darin sind David wohl vertraut und scheinen ihm angenehme Erinnerungen zu spenden, denn er ist ganz versunken in sich und starrt entrückten Blicks gen Himmel.

Musik und Ton:

Der harmonischen Stimmung dieser Szene steht die bedrohliche Hintergrundmusik gegenüber, die bereits in der vorhergehenden Szene einsetzte. Gesprochenes kommt kaum vor. Lediglich der kurze Dialog zwischen der Hausbesitzerin und Gale, sowie das Hundgebell, welches sie erst auf den ungebetenen Gast in ihrem Vorgarten aufmerksam macht, sind neben der Hintergrundmusik zu hören. Diese besteht im Grundthema aus rhythmischen Paukenschlägen, die der Musik eine bedrohliche Note geben. Die darüber gelegten Streichinstrumente verleihen zusätzlich zur Bedrohlichkeit noch einen traurigen Unterton.
Zum Schluss noch erwähnenswert ist die absolute Stille. Nicht einmal das rege Vogelgezwitscher, mit dem der Film beginnt, ist zu hören.

Staging:

Besonderheiten dieser Filmsequenz sind vor allem die Kameraeinstellungen. Die Szene beginnt damit, dass die Kamera aus der Vogelperspektive über den Vorgarten schwenkt und auch David aus dieser Perspektive aufgenommen wird. Somit erfolgt zunächst eine Orientierung für den Zuschauer bezüglich Ort und Situation. Gales Gesicht ist kaum zu erkennen, da er weit von der Kamera entfernt ist, doch durch diese Entfernung ist seine entspannte Körperhaltung gut eingefangen. David liegt auf dem Rücken, hat Cloud-dog unter seinem Kopf und die Arme ausgestreckt. Aus der Draufsicht erscheint Gale wie ein menschliches Kreuz, welches ein weltweit verbreitetes Symbol ist und unter anderem in der christlichen Religion viele Bedeutungen haben kann. Zutreffend auf Davids Situation könnte dies als Andeutung für einen Todesfall gelten. Ebenso kann das Kreuz sowohl stehen für das Tragen einer Last, als auch als Symbol für Erlösung. Es folgt ein harter Schnitt, der Protagonist wird aus der Untersicht abgebildet. In der gewählten Einstellung der Halbnahen ist sein Gesicht mit dem Blick ins Nirgendwo nun besser erkennbar. Es folgt eine Totale aus der Untersicht, sie fängt noch einmal die idyllische Umgebung und das strahlend weiße Haus, sowie Gale beim in sich versunkenen Schaukeln ein. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Kameraperspektive immer wieder hin und her springt zwischen Drauf- und Untersicht und somit seine Gelassenheit von allen Seiten einfängt. Seine innere Ruhe kommt zum Ausdruck, obwohl Davids Gesicht nicht in einer Groß- oder Detailaufnahme gezeigt wird. Sie wird einfach darin deutlich, dass er die Muße hat, entspannt im Gras zu liegen und zu schaukeln. Zudem spendet ihm das Kuscheltier seines Sohnes und die vertraute Umgebung Geborgenheit und Trost.

Editing:

Zu den Besonderheiten des Editing gibt es nicht so viel zu sagen. Einzig auffällig sind die harten Schnitte nach relativ kurzen Einstellungen. Das wirkt wie ein Zusammenschnitt von kurzen Szenen, die zeigen, was Gale dort in diesem Garten tut. Doch auch dieser harte Schnitt tut der Harmonie der Szene keinen Abbruch.

Bedeutung und Einordnung der Szene:

Was auf den ersten Blick so aussieht, als würde Gale sich einfach eine Weile im Vorgarten seines alten Zuhauses aufhalten, stellt sich als eine Verabschiedung heraus. In der folgenden Szene wird Gale wegen Vergewaltigung und Mordes an Constance Harraway verhaftet. Die vorhergehende Szene, (die ebenfalls eine Rückblende Gales ist und die Darstellung dessen, was er der Journalistin Bitsey Bloom erzählt,) lässt nämlich den Schlüssel zur Auflösung weg. Denn Bitsey soll im Glauben bleiben, dass Gale am Tod seiner Kollegin unbeteiligt ist. Nur so sind Constance‘ Tod und Davids spätere Hinrichtung nicht vergebens. David und Dusty haben an jenem Morgen, bevor David sein altes Haus ein letztes Mal besucht, Constance‘ Tod gefilmt. Zunächst schwer verständlich, doch genau das ist der Grund für Davids Tun. Er weiß, dass dies seine letzten Momente in Freiheit sind und verabschiedet sich von seinem alten Zuhause. Er ist so ruhig und entspannt, weil er nun noch etwas erreichen kann. Nach seinen Ideen und Idealen gerichtet führt bzw. opfert er nun sein Leben gemäß seiner Vorlesung zu Beginn des Films. Hier ist ein weiterer Wendepunkt in Davids Leben nach seinem Absturz zu sehen, da er nun begonnen hat, die Lehren Lacants und Pascals selber zu leben. Seine Körperhaltung auf der Wiese in Form eines Kreuzes kann sowohl Constance‘ Tod als auch seine Befreiung und seine Erlösung von einer Last visualisieren. Die Last, dem eigenen Leben wieder Bedeutung zu geben und ein Angedenken für seinen Sohn zu hinterlassen, indem sein Tod als Unschuldiger auf dem elektrischen Stuhl zur Abschaffung der Todesstrafe im Staate Texas dient.


3.Szene – Gale empfängt Bitsey im Todestrakt zum Interview

Beschreibung der Szene:

Beschreibung der Szene: In dieser Szene treffen Bitsey und Gale im Gefängnis erstmals aufeinander. Der durchschnittliche Aufenthalt im Todestrakt beträgt neun Jahre. Man kann nur vermuten, dass Gale dort ähnlich lange einsitzt, doch erst jetzt, vier Tage vor seinem angesetzten Hinrichtungstermin hat er einem Interview zugestimmt. Für eine halbe Million darf die Journalistin Bitsey Bloom, und zwar ausschließlich sie, drei Interviews à zwei Stunden mit Gale führen, der sich zuvor stets geweigert hatte auszusagen.
Auf dem Weg in den Besucherbereich des Gefängnisses muss Bitsey durch diverse Türen und Kontrollen, die die Sicherheit gewährleisten sollen. Bei Gale angekommen erklärt er ihr den Grund für das Interview. „Sie sind hier, weil ich möchte, dass man sich daran erinnert, wie ich mein Leben geführt, wie ich Entscheidungen getroffen habe und wie es zu Ende ging.“ (Zitat Gale) Er möchte sich nicht für irgendetwas rechtfertigen oder gar etwas beichten, sondern lediglich die Menschen außerhalb des Gefängnisses von seiner Geschichte in Kenntnis setzen.

Setting/Location:

Das Gefängnis wirkt zunächst so, wie man es von einem Aufenthaltsort für Schwerverbrecher erwartet. Es ist umgeben von hohen Gittern und Stacheldraht. Die Böden sind karg betoniert. Vor jeder Tür findet eine Kontrolle statt. Jede einzelne Sicherheitskontrolle wird im Film detailliert dargestellt, vom mehrfachen Vorweisen des Ausweises bis hin zur Taschenkontrolle und dem Metalldetektor. Bitsey wirkt bei diesen Sicherheitsvorkehrungen nervös, ihre Bewegungen sind hektisch, genau wie ihr Blick. Obwohl sie selbst schon im Gefängnis saß, macht ihr der Todestrakt Angst. Wer hier einsitzt, ist ein Schwerverbrecher. Ungewöhnlich ist, dass ein so renommierter, intelligenter David Gale im Todestrakt auf seine Hinrichtung wartet. Der Innenbereich des Gefängnisses strahlt gegenüber dem äußerlichen Eindruck, den kahlen Wänden und Stacheldrahtzäunen, ein wenig Wärme aus. Die aus roten Klinkern gemauerte Wände sind teils angenehm mit Holz verkleidet und erinnern an idyllische Einfamilienhaus-Atmosphäre. Alles wirkt neu, sogar die Fugen zwischen den Ziegeln sind strahlend weiß. Der Gefängnisdirektor verhält sich nicht, wie man es vom Vorstand eines Hochsicherheitsgefängnisses erwarten würde. Er wirkt gelassen und macht Späße zwischendurch.. Ein kleiner Japanischer Garten und leises Vogelgezwitscher im Hintergrund vervollkommnen die Idylle und stellen somit einen deutlichen Kontrast zu der typischen bedrohlichen Darstellung eines Gefängnisses dar, in der Straftäter für ihre Taten büßen müssen. Trotz allem dominieren Gitter, Zäune, Stacheldraht oder Türen nahezu jedes Bild der Szene. Auch während des Gespräches zwischen Gale und Bitsey sieht der Zuschauer immer das Gitter, das beide voneinander trennt, wenn auch nur schwach, als würde man selbst hindurchschauen.

Farbe und Licht:

Die Beleuchtung in der Szene wirkt natürlich, jedoch nicht sehr hell. Es dominieren die Farben weiß und braun. Besonders Gale wirkt in der Szene sehr farblos. Er, gekleidet in weiße Häftlingskleidung, ist nur umgeben von grauen Gittern und Glas. Bitsey hingegen befindet sich vor farblicherem Hintergrund und wirkt auch durch die Kleidung lebendiger als Gale.
Die Mauern fallen durch ihre schon erwähnten Roten Steine und die weißen Fugen besonders auf. Damit wird noch einmal deutlich, dass es sich trotz vermeintlicher Idylle um ein Gefängnis handelt, aus dem es kein Entkommen gibt.

Musik und Ton:

Hintergrundmusik gibt es in der Szene zunächst nur beim Durchschreiten der äußeren Absperrung des Gefängnisses. Als sich Bitsey dann innerhalb des Gebäudes befindet verstummt sie. Vögel zwitschern sehr leise im Hintergrund. Abgesehen davon hört der Zuschauer kaum mehr als die Gespräche zwischen den Personen. Kaum merklich erklingt ein dumpfer und bedrohlicher Unterton als Bitsey sich im Besuchertrakt befindet und sich langsam ihrem Interviewpartner nähert. Je weiter sie auf Gale zugeht, umso lauter und bedrohlicher wird dieser Ton. Er verdeutlicht Bitseys Unbehagen angesichts des Treffens auf einen Mann, den sie noch nie gesehen hat und der ein zum Tode verurteilter Schwerverbrecher ist. Sie versucht sich auf alles einzustellen, doch sie rechnet sicherlich nicht mit Gales Auftreten. Seine Stimme ist durchgehend ruhig und gelassen. Er hat sich mit seinem Schicksal abgefunden. Bitsey scheint diese Gelassenheit ein wenig zu irritieren. Sie klingt skeptisch und macht durch ihre teils unterkühlten Antworten deutlich, dass sie zu diesem Zeitpunkt von seiner Schuld überzeugt ist.
Selbst als sich die Journalistin dem Besucherraum und damit auch Gale nähert erklinkt kein bedrohlicher Ton. Die Anspannung wird lediglich durch Bitsys weit aufgerissenen Augen verdeutlicht. Mit Sarkastischen Antworten überspielt sie ihre Nervosität. Erst als Gale mit seiner Geschichte anfängt, tritt auch Musik mit der typischen kreisenden Kamerabewegung ein.

Staging:

Gale und Bitsey nähern sich in der Szene langsam einander. Das ist auch deutlich an den Kameraeinstellungen zu sehen. Zunächst sieht der Zuschauer den Gefangenen von Hinten. Er steht höflich, fast überheblich auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. In dieser Einstellung wirkt er größer als Bitsey, was zeigt, dass er die Zügel bei dem folgenden Gespräch in der Hand hält und die Journalistin in die Richtung „navigieren“ kann, in der er es möchte.
Es folgt ein leichtes Nicken und ein trockenes „Hallo“. Bitsey überrascht dieser erste Eindruck und wieder versucht sie ihre Nervosität zu überspielen, dieses Mal mit einem gezwungenen Lächeln. Beide sind nun bis zur Hüfte zu sehen. Vor allem Bitsey steht noch in einem deutlichen Abstand zu Gale. Sie wirkt distanziert und fühlt sich unwohl, kann den Blick jedoch nicht von ihm wenden. Gale hingegen sitzt ihr friedlich gegenüber, die Hände unter dem Tisch. Er wirkt, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Die distanzierte Atmosphäre lockert sich ein wenig auf, nachdem Gale aufgrund einer weiteren ironischen Bemerkung von Bitsey lächelt. Nach einigen Worten sieht der Zuschauer beide in Nahaufnahmen. Und kurz bevor Gale mit seiner Geschichte beginnt, werden nur noch Großaufnahmen genutzt. Dadurch rückt vor allem die Mimik der Protagonisten in den Vordergrund, was durch den verschwommenen Hintergrund (Tiefenunschärfe) noch verstärkt wird. Aus Gales Gesicht lässt sich jedoch zunächst keinerlei Gefühlsregung ableiten. In einigen Situationen scheint er freundlich, teils überlegen zu lächeln, obwohl kaum Bewegung in seinem Gesicht ist. Nicht nur seine Stimme strahlt Ruhe aus, sein gesamter Körper zeigt kaum Regungen.
Bitsey versucht durchgängig, Gale zu durchschauen. Es gelingt ihr aber, wie auch dem Zuschauer, nicht. In ihrer Mimik zeigt sich deutlich der Konflikt, in dem sie steckt. Als sie das Gefängnis betritt, ist sie von Gales Schuld überzeugt und schaut regelrecht auf ihn herab. Während des Gespräches mit ihm kommen ihr jedoch Zweifel. Der anfänglich herabschauende Blick wird zu Skepsis.

Editing:

Auffällig bei dieser Szene ist der ständige Schuss-Gegenschuss auf die Gesichter der handelnden Personen. Die Schnitte sind dabei hart. Durch die schnelle Abfolge der einzelnen Gesichter werden Reaktionen in Form von Mimikänderungen schnell deutlich. Zudem wird so Unruhe in die Szene gebracht, die vor allem Bitseys Aufregung untermalt.

Bedeutung und Einordnung der Szene:

Sieht der Zuschauer diese Szene, weiß er noch nicht viel über David Gale. Es ist lediglich durch einen kleinen Fernsehauschnitt zu Beginn des Films bekannt, dass er wegen Vergewaltigung und angeblichen Mordes an Constance vor einigen Jahren zu Tode verurteilt wurde. Der Zuschauer ist generell auf dem gleichen Wissenstand wie Bitsey . Alles, was der Zuschauer an neuen Informationen dazu gewinnt, erhält er durch Bitsey aus dem Interview oder aus ihren Recherchen. So baut sich der Handlungsstrang nach und nach auf und wir werden ebenso wie die Reporterin auf falsche Fährten gelockt, stellen Vermutungen an und werden wie sie erst am Schluss erlöst. Genauso, wie Gale Bitsey die ganze Zeit an der Nase herumführt, macht er das mit dem Zuschauer. Beide haben Gale vor dem Besuch im Sicherheitstrakt noch nicht real gesehen. Was beide wohl am wenigsten an einem solchen Ort erwarten ist ein beherrschter, mit ruhiger Stimme sprechender, intelligenter Mann. Nur nach und nach beginnt die Geschichte an Gestalt zu gewinnen. Dabei überrascht Gale immer wieder, indem er neue Details seiner Geschichte offenbart und somit ein ganz anderes Licht darauf fällt. Er geht sehr geschickt vor, so dass es weder Bitsey noch dem Zuschauer möglich ist, die Komplexität der Geschichte vor Filmende auch nur zu erahnen.
Diese Szene ist der Ausgangspunkt für Bitseys sich ändernde Sicht auf Gale. Durch das Gespräch zwischen den beiden wird ihr journalistischer Drang nach der Wahrheit angeregt. In den folgenden Gefängnisszenen wird vor allem Bitseys Biographisierung deutlich. In den Gefängnisszenen sieht man immer wieder, wie Gale Bitsey langsam für sich gewinnen kann. Obwohl sie auch nach dem zweiten Interview noch nicht von seiner Unschuld überzeugt ist, hat er doch ihren Spürsinn geweckt und sie dazu gebracht, auf eigene Faust zu recherchieren. Und das, obwohl sie lediglich ein Interview führen soll. Was mit professioneller Distanz gegenüber dem Gefangenen begann, wird zu einer emotionalen Achterbahn. Nicht mehr die Story über einen zum Tode Verurteilten kurz vor der Vollstreckung seiner Strafe steht im Vordergrund sondern das Herausfinden der Wahrheit.