The Sixth Sense – Analyse

Gliederungspunkte der Analyse

Analyse der Narrationsstruktur

Der Plot des Films ist simpel. Die Geschehnisse werden im regulären zeitlichen Ablauf geschildert. Lediglich in dem Moment da Dr. Crowe begreift, dass er tot ist, wird auf einige wichtige Szenen des Films rückgeblendet um die Situationen nochmals aus der wirklichen Perspektive zu zeigen.
Durch das geistesblitzartige Rückblenden auf diese Szenen wird die Narrationsstruktur allerdings nicht komplexer.

Generell ist die Handlung der Figuren dadurch motiviert, dass sich jede auf dem Weg zur Lösung eines persönlichen Konfliktes befindet (die Beschreibung der einzelnen Konflikte ist implizt bei den Erinnerungsbildern enthalten).

Man findet allerdings kein typisches Spieler – Gegenspieler Verhältnis. Da alle Konflikte miteinander verwoben sind, hängt ihre erfolgreiche Lösung letzendlich davon ab, dass Cole die Angst vor seiner besondere Fähigkeit überwindet und lernt damit. Die Handlung des Films zeigt den Weg der Figuren bis zu diesem Ziel.

Somit ist das Narrationsmuster des Films als Hollywoodmuster einzuordnen.

Ein weiteres Detail der Erzählungsstruktur halte ich für ansprechenswert: die Zweiteilung von Malcolm Crowes Leben schlägt sich in der Erzählweise derart nieder, dass sich zwei Szenerien ständig abwechseln. Die Erzählung beginnt mit Malcolms trauter Ehe und darauf folgt die Szene des ersten Kontaktes zwischen ihm und Cole. Auf ähnliche Weise wechselt die Darstellung permanent zwischen seinem Therapiealltag mit Cole und den Abenden, die er zu Hause in gewachsener Distanz zu seiner Frau verbringt.

Außerdem ist interessant, dass ein „Loch“ im Plot, welches vom Zuschauer nur unterschwellig als solches erlebt wird, die Geschichte deutlich an Tiefe gewinnen lässt. Durch diesen Geniestreich bringt es Shyamalan zu dem großen „Aha“-Erlebnis am Ende des Films. Gemeint ist die Tatsache, dass gleich zu Anfang nicht geklärt wird ob Dr.Crowe bei dem Attentat ums Leben kommt oder nicht. „The Sixth Sense“ macht deutlich dass Plot und Story grundverschiedene Dinge sind.
Die Story, die sich der Zuschauer im Film gedanklich anhand der gegebenen Cues zusammengebaut hat, wird am Ende des Films vollständig entkräftet. In dem Moment da klar wird, dass Malcolm Crowe bei dem Attentat starb, erinert sich der Zuschauer zusammen mit ihm blitzartig an die wichtigen Szenen des Films, begreift diese neu und kann erst jetzt die richtige Story erkennen.
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Defintion Erinnerungsbilder

In der weiteren Analyse des Films soll es nun um die Besprechung der Erinnerungsbilder gehen.
Dazu vorerst eine Begriffsklärung: Was verstehen wir hier unter Erinnerungsbildern? Sämtliche Anlässe oder Sachverhalte, die einen Charakter dazu bringen sich an vergangene Begebenheiten, Situationen oder Personen zu erinnern, kann man unter dem Begriff Erinnerungsbilder zusammen fassen. Dabei gibt es verschiedenste Auslöser, die bei einem Charakter die Assoziation mit Vergangenem bewirken können. So kann es sich ganz simpel um alte Fotos, Videos oder persönlich wichtige Gegenstände handeln. Aber auch olfaktorische Auslöser wie ein vetrautes Parfüm oder taktile Stimuli lösen oftmals Erinnerungen aus. Die Vielschichtigkeit der Anlässe für Erinnerung wird im folgenden Analyseteil noch deutlich werden.
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Interpretationshypothese

Aufbauend auf der detailierten Beschreibung der Charaktere möchte ich nun folgende Interpretationshypothese formulieren:
Vermissen und Sehnsucht sind Gefühle, die sowohl Auslöser als auch Folge eines Erinnerungsprozesses sein können.
Alle Charaktere in „The Sixth Sense“ erinnern sich gern und oft an vergangene Zeiten. Hauptgrund dafür ist, dass jeder von ihnen einen schweren, verzweifelten Lebensabschnitt durchlebt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass wichtige Personen aus ihrem Leben geschieden sind oder sich von ihnen entfernt haben. Teilweise werden sie mit diesen Personen täglich konfrontiert, teilweise aber auch nicht. Somit wird die Gefühlswelt der Hauptcharaktere von schmerzlicher Sehnsucht dominiert. Damit einher geht die soziale Isolation der Personen im Film.
Um die Richtigkeit dieser Hypothese zu zeigen, werde ich die Erinnerungsbilder in engem Bezug zu den einzelnen Charakteren analysieren. Für einige Szenen werde ich dann exemplarisch die besonderen Mittel untersuchen die im Film genutzt werden: mise-en-scene und Editing.
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Cole Sear – Erinnerungsbilder

„[…]die ist von meinem Dad. Die Gläser tun meinen Augen weh.“
Dem kleinen Jungen sind Erinnerungen an seinen Vater, der die Familie verlassen hat, sehr wichtig. Vor allem mittels materieller Dinge versucht er frühere Zeiten nicht zu vergessen. So trägt er oft die Handschuhe seines Vaters, eine dicke Wintermütze von ihm, so wie eine Uhr die nicht mehr funktioniert. Auch die alte Brille seines Vaters trägt er gern, obwohl er keine Sehhilfe benötigt. Auch Handschuhe und Mütze sind viel zu groß, aber die Erinnerung ist ihm viel wichtiger als der praktische Nutzen. Seine Mutter vermeidet es über seinen Vater zu sprechen, da die damit verbundenen Erinnerungen schmerzlich und enttäuschend für sie sind. Dadurch hat Cole Angst, dass die Erinnerung an seinen Vater völlig verblassen könnte und sieht sich umso mehr gezwungen gegen das Vergessen zu kämpfen.
Neben diesen wichtigen Erinnerungen an seinen Vater kommen durch Cole und im Besonderen durch seine Gabe interessante Erinnerungsbilder zustande. Im Unterricht fühlt er sich von seinem Lehrer Stanley Cunningham angegriffen und kontert indem er ihn mit bitteren Erinnerung aus seiner Jugend konfrontiert. Er konnte bis zur Highschool nicht richtig sprechen und wurde von seinen Kommilitonen als „Stotter Stanley“ beschimpft. Der Lehrer hat diese unangenehme Phase seines Lebens nicht vergessen und reagiert verstört und aufgeregt. Nur stotternd kann er Cole fragen woher er das wisse. Diese Somatisierung der negativen Erinnerung zeigt, welche Macht Erinnerungen über unsere Psyche haben können.
Auch die Toten, die Cole oft plötzlich aufsuchen, stellen oftmals Erinnerungsbilder dar. Zum Beispiel erinnern die aufgehängten Menschen, die Cole in seiner Schule sieht, an die düstere Vergangenheit des Gebäudes in dem früher Menschen ungerichtet aufgehängt und gepeinigt wurden.


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„Stotter Stanley“ – Analyse: mise-en-scene und Editing

Die Unterrichtsszene in welcher Cole seinen Lehrer Mr.Cunnigham als „Stotter-Stanley“ beschimpft bietet nun einiges Material für eine interessante Analyse der filmtechnischen Mittel.
Szenenbeschreibung
Sie spielt in einem Klassenraum in Coles Schule. Die ersten Einstellungen vermitteln einen tristen, langweiligen Unterrichtsablauf – ohne jede Aufregung. Die Kinder, alle einheitlich in Schuluniform, sitzen brav da und hören zu. Ein Junge muss immer wieder den Satz „Ich werde andere nicht mehr schlagen oder treten“ an die Tafel schreiben. Der Lehrer scheint alles im Griff zu haben. Die nächste Einstellung zeigt Cole wie er gelangweielt mit dem Kinn auf seinem Pult liegt und einen Bleistift immer wieder durch Pusten auf seinem Pult herumrollt. Als der Lehrer jedoch fragt wie das Schulgebäude früher wohl genutzt worden ist, kommt Aufregung in die Szene. Unbefangen gibt Cole zur Antwort, dass es diente um Leute aufzuhängen. Die Klasse und der Lehrer starren Cole entsetzt an. Der Lehrer versucht Cole klar zu machen dass er sich irrt. Doch Cole fühlt sich provoziert und glaubt die Anderen halten ihn für einen Psycho. In seiner Wut darüber konfrontiert er seinen Lehrer mit der oben beschriebenen Erinnerung an seinen Sprachfehler: „Sie sind der Stotter Stanley!!“.
Der Lehrer, völlig verstört und bestürzt, beginnt panisch zu stottern und geht langsam auf Cole zu. Immer eindringlicher
fragt er ihn woher er das wisse, und sagt ihm ruhig zu sein. Cole schlägt sich die Hände vor die Augen und schreit immer wieder „Stotter Stanley!Stotter Stanley!“. Schließlich schlägt der Lehrer mit der Faust hart und laut auf Coles Pult und schreit ihn an: „Halt die Klappe du Psycho!!“. Das ist der Spannungshöhepunkt der Szene welcher mit dieser letzten Einstellung abschließt.
Setting/Location
Stilistisch wurde dieses für den Lehrer dramatische Erinnerungsbild mit besonderen Mitteln inszeniert. Die Dramatik und Spannungsteigerung der Szene lebt davon, dass aus der anfänglich gewöhnlichen und geradezu öden Schulatmosphäre die gespannte Situation zwischen Cole und seinem Lehrer erwächst. Der triste Schulalltag wird vor allem natürlich von dem Setting getragen – ein 0-8-15 Klassenzimmmer wie man es sich vorstellt: Grüne Schiefertafel, Amerika Fahne in der Ecke, einfache Holzpulte, eine Landkarte an der Wand und die Bilder der Präsidenten hängen über der Tafel. Der biedere Lehrer mit Hemd und Weste wirkt unsicher, gerade so als wäre er als Jugendlicher unbeliebt und ausgegrenzt gewesen. Interessant in dieser Szene ist, dass Cole als einziges Kind in der Klasse das Sacko seiner Schuluniform nicht ausgezogen hat. Das kann man als ein gewisses Unwohlsein interpretieren. Er möchte seine Jacke nicht ausziehen weil sie ihm Schutz bietet – Schutz vor der Schulwelt der er nicht vertraut und in der er sich nicht wohlfühlt. Außerdem behält es ihm ein Stück seines Individualismus, da er sich nicht mit anderen Kindern seiner Altersklasse indentifizieren kann und diese allesamt ihre Jacke fein säuberlich über ihren Stuhl gehangen haben.


Farbe und Licht
Die Farben, die zur Gestaltung der Szene verwendet wurden, passen gut in das herbstliche Farbmuster des Films: Weiße Wände die unter dem matten Sonnenlicht nur grau erscheinen, oliv grüne Schuluniformen und weinrote Westen, mahagoni- farbene Pulte. Die grau in grau Farbkombination, die der Lehrer trägt, ist ganz gezielt gewählt um ihn als Weichei und Snopp zu entlarven.


Musik und Ton
Die Musik hat in dieser Szene die Aufgabe den Moment der größten Spannung bedeutend zu steigern und nachhallen zu lassen. Es handelt sich dabei weniger um Musik als viel mehr um einen Mix aus Soundeffekten der an stetig lauter werdende Becken oder einen immer näher kommenden Hummelschwarm erinnert. Die Lautstärke schwillt von dem Moment an da Cole seinen Lehrer als „Stotter-Stanley“ bezeichnet und der Lehrer langsam auf Cole zugeht. In Coles Geschrei wird der Sound dann ebenso laut und vermischt sich mit seinem Geschrei: „Stotter Stanley! Stotter Stanley“. Die Spannung wird musikalisch mit einem lauten, dumpfen Bass gelößt, welcher synchron mit dem Aufschlag der Faust des Lehrers aufs Pult ertönt. Sein dumpfer Nachhall lässt die Spannung kurz nachwirken und gibt der Szene unwahrscheinlich viel Nachdruck. Ohne Sound ist die starke dramatische Wirkung, die die Szene zweifellos hat, nicht denkbar!
Einstellungen/Perspektiven/Schnitt
Neben den Audioeffekten sind vor allem die Kameraeinstellungen und Perspektiven wichtig. Sämtliche Einstellungen sind hauptsächlich aus Coles Perspektive, von seinem Platz aus mit Blick in die Klasse, oder aus der Perspektive seines Lehrers aufgenommen. So wird das Verhältnis Cole versus Lehrer/Klasse dargestellt. Diese Einstellungen sind so geschnitten dass sie sich, simultan zum Gespräch zwischen Cole und seinem Lehrer abwechseln. Mit der Steigerung der Spannung wird Cole nur noch in Großaufnahme gezeigt und die Kamera blickt von oben auf ihn herab um die Sicht des Lehrers, der auf ihn zugeht, zu simulieren. Um Coles Geschrei noch mehr Ausdruck zu verleien wird schließlich nur noch sein Mund in Großaufnahme eingeblendet. Durch diese Aufnahme dominiert Coles Geschrei das Bild und somit für den Zuschauer auch das Geschehen. Aber auch der Lehrer wird generell aus Coles Perspektive gezeigt. Dadurch entsteht ein Blickwinkel, ähnlich einer Froschperspektive, die den Lehrer als „erwachsene Respektsperson“ betont. Außerdem fällt auf, dass der Lehrer in emotionalen Situationen, so z.Bsp als Cole ihn mit „Stotter Stanley“ betitelt oder als er auf Coles Pult haut und ihn anschreit, immer in Großaufnahme gezeigt wird. Das dient einfach dazu, die Reaktion des Lehrers ganz nah und wirkungsvoll für den Zuschauer einzufangen. Ebenso werden in diesen Momenten kurz die entsetzten Blicke der Mitschüler eingefangen.


Movement/Acting
Der Mitschüler der noch dabei war seine Strafsätze an die Tafel zu schreiben, sticht in Punkto Acting heraus. Er ist so entsetzt von Cole und wie er den Lehrer anschreit dass er die Kreide nicht mal von der Tafel abgesetzt hat und statt weiter zu schreiben mit offenem Mund inne hält und zu Cole starrt. Dabei zieht er unbewusst einen senkrechten Strich von seinem letzten Buchstaben herunter. Dieses Bild zeigt, wie sehr in das Geschehniss fesselt und trägt stark zur Spannung und Dramatik der Szene bei.
Auch die Körpersprache des Lehrers ist interessant. Seine Unsicherheit, vor allem nachdem Cole ihn als „Stotter Stanley“ entlarvt hat, spiegelt sich deutlich in seinen Bewegungen wieder. Er geht langsam auf Cole zu, aber nicht mit bestimmten Schritten sondern eher unstetig tastet er sich mit seitlich versetzten Schritten an Cole heran. Die Hände hat er trotz großer Aufregung immernoch tief in den Hosentaschen. Zum einen könnte man dies als Schutzbedürfnis deuten: Hände in den Taschen signalisieren Verschlossenheit – so ist er in dem Moment weniger angreifbar. Es fällt ihm aber auch sichtlich schwer seinen Gefühlen mit Gesten Nachdruck zu verleihen. Das wird an seinem Gesichtsausdruck nachdem er auf Coles Pult gehauen hat sehr deutlich. Es wirkt so als wäre er entsetzt über sich selber, wusste aber keinen anderen Ausweg mehr diese Schmach zu beenden. Ebenso schwer fällt es ihm Cole direkt und fest anzusehen. Er sagt mit nur halblauter zitternder Stimme und immer wieder abgewendetem Gesicht: „Sag mir mit wem du geredet hast! […] Hör damit auf! Hör auf!“. So wird durch Acting und Moving das Wesen des Lehrers Mr. Cunnigham deutlich offenbart.


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Lynn Sear – Erinnerungsbilder

Ich spreche von dem Anhänger. Er hat Oma gehört. Und wenn er nun kaputt geht? Willst du mich traurig machen?!“
Coles Mutter fühlt sich zunehmend überfordert mit seiner Erziehung und weiß nicht mit seinen irrationalen Ängsten und seinem Verhalten umzugehen. Daher sucht sie oft Trost in Erinnerungen. Fotos von sich und Cole von glücklichen Momenten ihres Lebens helfen ihr an schöne Zeiten zurückzudenken. Vor allem der Tod ihrer Mutter belastet sie sehr, da Manches zwischen ihnen ungeklärt blieb. Die Erinnerung an ihre Mutter behält sie sich auf verschiedene Arten. Vor allem ein Anhänger, den sie aufgehoben hat und auf den sie sehr penibel achtet, ist ihr dabei wichtig. Außerdem besucht sie regelmäßig das Grab ihrer Mutter. Wie tiefgreifend und emotional Erinnerungen sein können zeigt die Situtaion zum Ende des Films in der Cole seiner Mutter sein Geheimnis beichtet. Er erzählt ihr, dass Oma ihn regelmäßig „besucht“ und oft den Anhänger nimmt, weil sie ihn so gern mag. Cole erzählt seiner Ma, dass ihre Mutter trotz eines Streits heimlich doch bei einer wichtigen Tanzaufführung ihrer Jugend gewesen ist. Allein die Erinnerung daran treibt Lynn die Tränen in die Augen und sie kann sich kaum fassen.
Daneben spielen natürlich auch Erinnerungen an ihren Mann eine Rolle. Die Erinnerungen, die der kleine Cole zu halten versucht, möchte Lynn lieber verdrängen. Sie ist enttäuscht, verletzt und fühlt sich allein gelassen von ihm. So geraten die beiden oft in Konflikt, da Cole nur allzugern die Handschuhe seines Vaters sogar beim Essen trägt, Lynn „…möchte sie aber nicht auf
ihrem Tisch haben“.


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Malcolm Crowe – Erinnerungsbilder

„Es war einmal ein Mann der hieß Malcolm. Er arbeitete mit Kindern.Das liebte er. Aber eines Abends erfuhr er, dass er einen Fehler bei einem Kind gemacht hatte. Er kann nicht mehr aufhören daran zu denken. Seitdem hat sich alles für ihn verändert. Und seine Frau hat aufgehört den Menschen der aus ihm geworden ist zu lieben. Sie sprechen kaum noch miteinander – als ob sie Fremde wären. Und eines Tages lernt Malcolm einen faszinierenden kleinen Jungen kennen – und der ist dem anderen Jungen sehr ähnlich. Und Malcolm beschließt darauf diesem neuen Jungen zu helfen. Weil er das Gefühlt hat wenn er diesem neuen Jungen helfen könnte dann wäre es so, als ob er dem anderen auch helfen könnte.“ (Crowe über sich selbst)
Dr. Crowes Erinnerungsbilder sind wesentlich von der glücklichen Ehe mit seiner schönen und liebevollen Frau Anna bestimmt. Nach dem Attentat auf ihn, bei dem er ums Leben kam, erlebt er als wandelnder Toter die Beziehung zu Anna distanziert, fremd, kalt und unnahbar. Doch auf beiden Seiten ist noch Liebe vorhanden. So bringt ihm ein Hochzeitsvideo, welches er durch Zufall anschaut, die Erinnerung an den schönen Anfang der Ehe zurück. Diese Erinnerung ist wunderbar und schmerzlich zugleich. Es ist schwer für ihn angesichts all dieser Erinnerungen, die aktuelle Situation zu akzeptieren.
Doch nicht nur Videos oder Fotos, sondern vor allem Anna selbst, die er jeden Tag sieht, verkörpert Erinnerung in höchstem Maße für ihn.
Auch den gemeinsamen Hochzeitstag hat er nicht vergessen und sucht Anna leicht verspätet im Restaurant auf: „Entschuldige die Verspätung. Ich dachte du meinst den anderen Italiener. In dem ich um deine Hand angehalten habe.“ Die Tatsache dass er Anlaß und Location der Verlobung nicht vergessen hat, zeigt deutlich wie wichtig es für ihn war/ist und wie stark folglich immernoch die Gefühle für seine Frau sind. Das traditionelle Begehen entscheidender Tage kann man generell als wichtiges Erinnerungsbild auffassen. Sie regen zum gemeinsamen Nachdenken und Erinnern an vergangene Zeiten an, zum Ressumieren, zum Rückblick „Wie alles begann“.
Doch nicht nur die positiven Erinnerungen an seine glückliche Ehe und Liebe sondern auch die düsteren Erinnerungen an Vincent Gray und das persönliche Versagen, dass er damit assoziiert prägen sein Handeln in hohem Maße. Die Schuldgefühle, die von diesen Erinnerungen herrühren treiben ihn unermüdlich an sich vollständig Coles Therapie zu widmen. An dieser Stelle kann man sich überlegen, dass das Attentat und sein damit offen gelegtes Versagen im Fall Vincent Gray zwar ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben war, es aber ohne die ständige Erinnerung daran nachhaltig keine Macht über ihn hätte. Also ist es das Gedächtnis und damit unsere Erinnerung, die uns psychisch erst prägen kann (verdrängte und unterbewusste Erinnerungen eingeschlossen).
Ereignisse allein sind irrelevant wenn wir sie wieder vergessen. Die Erinnerung an Vincent Gray kommt bei Dr. Crowe in Form eines Tonbandes lebendig zurück. Dieses Tonband ist letztendlich auch der Schlüssel dazu, dass er Cole seine unheimliche Gabe glauben kann.

Hochzeitsvideo – Analyse: mise-en-scene/Editing
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Szenenbeschreibung
Die Szene spielt im Haus der Crowes. Malcolm kommt abends heim und im Wohnzimmer läuft , wie schon so oft, das Hochzeitsvideo. Im Video wendet gerade eine von Annas Freundinnen das Wort an Malcolm um ihm zu Tränen gerührt zu sagen wie glücklich er Anna machen soll und wie gern sie die beiden hat. Daraufhin folgt im Video eine Kussszene des frisch getrauten Paares. Malcolm setzt sich aufs Sofa um das Video eine paar Minuten lang zu verfolgen. Diese Erinnerung ist wunderbar und schmerzlich zugleich für ihn.

Setting/Location
Die Wärme die diese Erinnerung ausstrahlt wird in der Szene vor allem durch das Setting und das Licht eingefangen und verstärkt: Das Haus der Crowes ist sehr altmodich und rustikal eingerichtet. So gibt es an diesem Setting wunderschön gearbeitete, verschnörkelte Holzmöbel, einen alten Kamin, ein gemütliches Sofa, ruhige Blumentapete, flauschige altmodisch bezogene Kissen mit verspielten Fransen. Diese Einrichtung vermittelt die Wärme und Geborgenheit die Malcolm angesichts des Hochzeitsvideos wieder lebendig spüren kann.

Farbe und Licht
Die Farben, hauptsächlich Grün- und Brauntöne, sind ruhig, dunkel und ebenfalls warm. Das Licht scheint lediglich von zwei kleinen Tischlampen sehr gedämpft und in einem warmen gelben Ton in die Szene. Farbe und Licht passen somit wunderbar zu der gewünschten Gefühlskomposition.

Musik und Ton
Auch in Ton und Musik der Szene findet man eine warme, sehnsüchtige und wehmütige Stimmung. Die Stimme der Freundin auf dem Videoband wirkt sehr natürlich, gefühlvoll und aufrichtig. So wirken ihre Worte ebenso ehrlich und aufrichtig auf Malcolm und auf den Zuschauer. Zu Anfang der Szene spielt nur die Partymusik vom Video leise im Hintergrund. Erst als die Sprecherin auf dem Band den Tränen nahe ist und die Szene ihren emotionalen Höhepunkt erreicht, setzt sanft ruhige Musik ein. Erst einige Streicher und Bläser. Dann, mit dem Schnitt auf dem Videoband zur Kussszene , setzt ein Klavier ein und spielt eine Melodie die Traurigkeit und Sehnsucht aber auch die Besonderheit der Beziehung zwischen Anna und Malcolm wunderbar auszudrücken vermag. Allein diese simple Melodie drückt genau aus was Malcolm in diesem Moment fühlt.

Einstellungen/Perspektive/Schnitt
Auch die Kameraeinstellungen tragen in dieser starken Erinnerungsszene erheblich zum gewünschten Effekt bei. Statt Totalen findet man nur Nah -und Großaufnahmen. Mit der emotionalen Steigerung der Szene bis hin zum Innigen Kuss des Liebespaares auf dem Videoband zoomt die Kamera abwechselnd stetig weiter an Malcolm, der auf dem Sofa sitzt, und an den Fernseher heran. So beginnt die Kamera mit einer totalen Einstellung die das Wohnzimmer, den Fernseher und das laufende Video zeigt und endet in einer Großaufnahme des Videos welche den Fernseher schon vollständig verschwinden lässt. Das einfache Prinzip hierbei: Je größer ein Objekt im Bild ist, desto besser wirkt es, zieht die gesamte Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich und lässt unwichtige Details verblassen.
Der Schnitt der Szene ist relativ simpel und wechselt zwischen einer Einstellung auf das Video und einer Einstellung auf Malcolm hin und her. So wird immer zu dem Gesagtem und Gezeigtem auf dem Band direkt Malcolms Reaktion gezeigt um seine entsprechenden Emotionen einzufangen.

Acting
In dieser emotionalen Szene ist Malcolm der einzige Agierende und seine Aufgabe ist es, durch seine „Darbietung“ seine Gefühle deutlich widerzuspiegelen. Der Zuschauer kann sehen wie glücklich er angesichts der lebendigen Erinnerung durch das Video ist. Ruhig und langsam setzt er sich auf das Sofa und möchte sich kurz den Erinnerungen hingeben. Dadurch, dass ihn die Dame in dem Video immerwieder direkt anspricht wird Malcolm aktiv miteinbezogen. Auf die schönen Bilder von seinem vielleicht schönsten Tag reagiert er leise lächelnd aber auch ernsthaft nachdenklich. Als er hört, dass Anna ihn vom ersten Augenblick an geliebt hat, verrät seine Kopfbewegung die in Richtung Badezimmer zeigt, wo sich Anna gerade duscht, dass er ihn das Video nachdenklich und
wehmütig macht und er das distanzierte Verhältnis zu seiner Frau bereut.


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Anna Crowe – Erinnerungsbilder

„Wieso! Wieso hast du mich verlassen Malcolm?!“
Anna leidet nach Malcolms Tod noch lange unter seinem Ableben. Die Erinnerung an ihn und ihre gemeinsame Zeit
mit ihm lässt sie nicht los. Es fällt ihr schwer sich zu Entlieben und sich einer neuen Beziehung hinzugeben. Die Erinnerungsbilder sind also ganz ähnlich zu Malcolms. Die Hochzeitsvideos welche sie sich oft ansieht um in alten Erinnerungen zu schwelgen und ein Stück von Malcolm bei sich zu haben, sind ein wichtiges Erinnerungsbild. Für Anna ist außerdem das Haus, in dem sie mit Malcolm viele Jahre verbracht hat und jetzt allein wohnt, ein wichtiger Faktor, der die Erinnerung an ihren Ehemann nicht verblassen lässt.